Seit November rollte der Kältebus über Hamburgs kalte Straßen in der Saison 2021/2022. Mit den wärmeren Frühlingstagen ging die Saison am 9. April 2022 zu Ende.
Ein Resümee:
Von November bis März fahren die EhrenamtlerInnen des Kältebusses täglich von 19 bis 24 Uhr durch das gesamte Stadtgebiet. Die Hauptaufgabe ist es, wohnungslose Menschen vor dem Erfrierungstod zu bewahren, indem sie die obdachlosen Gäste in Notunterkünfte bringen oder sie mit wintertauglichem Material versorgen, um auf der Straße zu überleben.
Die extra eingebaute Rollstuhlrampe hat es erstmals ermöglicht, auch Menschen im Rollstuhl in das Winternotprogramm zu transportieren.
„Es war lange nicht so kalt wie in der vergangenen Saison”, sagt Christina Pillat-Prieß, Kältebus-Koordinatorin im CaFée mit Herz. „Unsere Gäste waren daher weniger bereit, sich auf das Winternotprogramm einzulassen.” Trotzdem gab es für die Fahrer und Fahrerinnen wieder jede Menge zu tun: Der Kältebus Hamburg fuhr durchgängig an 160 Tagen, bei Wind und Wetter, von 19 bis 24 Uhr und oftmals auch darüber hinaus. In über 2000 Arbeitsstunden der ehrenamtlichen HelferInnen sorgte das ausschließlich durch Spenden finanzierte Projekt für den Transport von 404 Gästen.
Die Pandemie hat noch einen draufgesetzt
Seit 2019 ist der Kältebus auf Hamburgs Straßen unterwegs. Damals noch als vorübergehendes Notprojekt geplant, hat sich der ehrenamtliche Service mittlerweile im Hamburger Sozialraum etabliert. „Nur die Situation hat sich noch nicht geändert”, so Pillat-Prieß, „Die Leute sind noch immer auf der Straße, es geht ihnen schlecht. Es gibt nicht genügend Unterkünfte für alle und viele möchten nicht einmal dorthin.” Die Gäste, so die Koordinatorin, scheuen sich vor allem vor der Enge in den Unterkünften, vor Diebstahl, Aggression und dem Coronavirus. Die Pandemie habe die Situation so zusätzlich verschlimmert.
„Ich habe das Gefühl, es werden immer mehr”, sagt Pillat-Prieß, „Und es ist immer wieder erschreckend, wie groß das Leid ist. Vor allem bei den Kranken, die immer noch keine vernünftige Versorgung finden.” Dabei verweist die Koordinatorin auf ein seit Ewigkeiten bestehendes Problem: Im Hamburger Sozialraum gibt es keine öffentlich geförderte Pflegeeinrichtung für Obdachlose und Menschen ohne Krankenversicherung.
„Toll hingegen war, dass wir so viele Ehrenamtliche aus dem medizinischen Fachbereich dazu bekommen haben”, so Pillat-Prieß, „Aber auch viele andere engagierte neue HelferInnen, wie die FSJler von der Bahnhofsmission.” Heute zählen zum Team des Kältebusses über 50 EhrenamtlerInnen aus ganz Hamburg. Das war enorm wichtig – schließlich musste auch die täglich wechselnde Teambesetzung durch Corona-bedingte Krankheitsfälle oft kurzfristig neu aufgestellt werden.
Der Kältebus Hamburg und das Winternotprogramm
Angesteuert haben die Teams die Unterkünfte des Hamburger Winternotprogramms in der Friesenstraße, in der Schmiedekoppel (vorübergehend), das Pik As und das von der Stadt gemietete Hotel in Hamburg-Billbrook. „Von der Halskestraße waren viele Gäste sehr begeistert, weil es dort gute Zimmer gab. Aber wir waren von der Lage so weit außerhalb ziemlich überrascht.”
Das Verhältnis zwischen den EhrenamtlerInnen und den Angestellten des Winternotprogramms hat sich positiv entwickelt. „Die Begegnungen waren insgesamt sehr freundlich”, sagt Pillat-Prieß, „Dass es dort lebhaft zugeht, ist keine Frage. Problematisch wird es, wenn viele Gäste aufeinander hocken: Alkoholisierte, drogenabhängige, laute Menschen und daneben eher zurückhaltende Gäste, die unter Reizüberflutung leiden.” Erfreulich war, dass in der Halskestraße die Möglichkeit bestand, Gäste mit besonderen Bedürfnissen in Einzelzimmern unterzubringen.
Fehlende medizinische Versorgung
Weiterhin besteht das Problem unzureichender medizinischer Versorgung. Mehrfach beobachteten die EhrenamtlerInnen des Kältebusses oberflächliche Symptombehandlungen obdachloser Patienten in den Notaufnahmen, die mit frischen Verbänden oder sogar transurethralen Dauerkathetern zurück auf die Straße mussten. Auf eine schnelle Behandlung folgt eine schnelle Entlassung. „Ich finde es gut, dass uns die Krankenhäuser anrufen und die Gäste nicht vor die Tür setzen”, sagt Pillat-Prieß, „Es ist oft schwer einzuschätzen, ob das ein Pflegefall ist oder nicht. Und Pflegefälle können wir bisher ja leider nicht unterbringen.” Es sei unbefriedigend, wenn Gäste die Krankenhäuser zu früh verlassen müssen, im Allgemeinen könne das Krankenhauspersonal aber nichts dafür.
„Die Kontakte mit den Leuten sind sehr berührend. Aber auch schockierend”, sagt die Koordinatorin, „Wenn du jemanden, dem es sehr schlecht geht, die Hand hältst und er zu weinen beginnt oder sich immer wieder bedankt, wie sehr wir uns um ihn kümmern, ist das einerseits ein schönes Gefühl, aber gleichzeitig auch beschämend, dass man ihm in dieser Situation nicht nachhaltiger helfen kann.” Es ginge deshalb bei den Einsätzen des Kältebusses nicht nur darum, die Menschen in die Unterkünfte zu fahren, sondern auch nach den Problemen zu schauen, warme Worte, ein Ohr und das Gefühl zu spenden, nicht allein zu sein. „Jeder hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, auch die Obdachlosen”, sagt die Koordinatorin, „Dass man in bestimmten Situationen nicht helfen kann, geht uns sehr nahe.“
Besonders im Kopf geblieben ist der Fall eines Mannes am Bahnhof Landungsbrücken. Er saß dort tagelang in seinem Rollstuhl mit durchnässter Hose. Seine Lebensmittel lagen verteilt auf dem Boden, die Ratten liefen um ihn herum, er saß wortwörtlich „in der Scheiße”. „Er wollte weder ins Warme noch eine medizinische Versorgung, bis wir ihn nach Tagen überreden konnten, ihn mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus zu bringen”, sagt Pillat-Prieß. Von den 404 Transporten konnten in dieser Saison 24 Gäste mit dem Rollstuhl mitgenommen werden.
Nachhaltig agierende MitbürgerInnen
Maßgeblich beteiligt an den Transporten sind vor allem aufmerksame MitbürgerInnen. „Es fällt auf, dass sie sich zunehmend nachhaltiger kümmern”, sagt Pillat-Prieß, „Sie rufen nicht nur einfach an, sondern warten oft zusammen mit den Betroffenen vor Ort und rufen sogar erneut an, um sich zu erkundigen, was aus den Gästen geworden ist.” Auch mit der Polizei und der Feuerwehr ist die Zusammenarbeit kooperativ. „Wir hatten in früheren Jahren oft Schwierigkeiten, Gäste vom Rettungswagen abholen zu lassen. In dieser Saison schienen die Rettungskräfte in solchen Situationen zugewandter.”
Kosten und Materialien
„Unsere Priorität ist der Transport”, sagt Maike Oberschelp, Leiterin des CaFée mit Herz, “Aber wenn ein Mensch nicht ins Winternotprogramm will, versorgen wir ihn mit dem Nötigsten für die Nacht.” Insgesamt teilten die EhrenamtlerInnen in der Saison 450 Schlafsäcke und 341 Isomatten aus. Die Sachspenden haben dafür nicht gereicht, das CaFée mit Herz kaufte mit Hilfe von Geldspenden regelmäßig Material dazu. Zusammen mit den Hygieneartikeln wie Desinfektionsmittel und Handschuhe sowie den Sprit-, Werkstatt- und Versicherungskosten beläuft sich die Gesamtsumme für eine Wintersaison des Kältebusses auf rund 60.000 Euro. Gespendet werden kann auch im Sommer. Denn an heißen Sommertagen wird der Bus wieder unterwegs sein, um Wasser zu verteilen und sich um die Menschen auf Hamburgs Straßen zu kümmern.
Das CaFée mit Herz bedankt sich bei allen ehrenamtlichen HelferInnen und KollegInnen, den fleißigen SpenderInnen und mutigen MitbürgerInnen.